Neue Sustainability Science-Masterprogramme starten im Herbst

29.04.2024 Wie kann die Nachhaltigkeitswissenschaft der Leuphana zu einer Nachhaltigkeits-Transformation der Gesellschaft beitragen? Die Leuphana stellt sich mit vier forschungsorientierten, inter- und transdisziplinären Masterprogrammen der Aufgabe, Ursachen mangelnder Nachhaltigkeit zu untersuchen sowie mögliche Lösungsansätze zur Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung zu behandeln. Die Studienprogramme adressieren inhaltlich sowohl naturwissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Zugänge zu einer nachhaltigen Entwicklung. Professorinnen und Professoren der Fakultät Nachhaltigkeit entwickelten das neuartige Konzept unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement.

Neue Sustainability Science-Masterprogramme starten im Herbst ©Copyright: MIKE KOENIG Photography 2017
„Weshalb überschreiten wir die planetaren Grenzen? Die zentralen Gründe liegen in den Materialflüssen und den Ökosystem-Eingriffen. Wir verbrauchen zu viele Ressourcen, zu viel Material, zu viel Energie. Aber nicht nur die schiere Menge bereitet gigantische Probleme, es ist auch die Art der Stoffe. Wir müssen dematerialisieren und die Stoffströme müssen ungiftiger werden“, erklärt Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Forschungsdekan der Fakultät Nachhaltigkeit.
Herr Professor Schaltegger, Sie haben mit Ihren Kolleginnen und Kollegen der Fakultät Nachhaltigkeit und der operativen Unterstützung des Studiendekanatsteams ein innovatives Konzept entwickelt, dass die vier neuen Masterprogramme an der Graduate School miteinander verbindet. Warum war diese Neuausrichtung nötig?
Weil bisherige Studienprogramme zu wenig zielgerichtetes Wissen vermitteln, um eine nachhaltige Entwicklung wirksam zu unterstützen. Viele Nachhaltigkeitsprobleme, wie der Klimawandel oder Moderne Sklaverei, spitzen sich derzeit weltweit zu. Treffende Analysen von Ursachen und die Entwicklung von wirksamen Lösungen können aufgrund der Komplexität der meisten Herausforderungen nur interdisziplinär in konstruktiver Zusammenarbeit mit Experten und Expertinnen aus der Praxis erfolgen. Bisherige Studiengänge mit Nachhaltigkeitsbezug sind aber meist entweder disziplinär ausgerichtet oder versammeln die Professuren, die sich aus unterschiedlichen, meist zufälligen Gründen, an einer Hochschule mit Nachhaltigkeit befassen. Bisherige Studiengänge leiten sich nur selten aus den erforderlichen Kompetenzen ab, die Menschen benötigen, um eine nachhaltige Entwicklung wirksam zu unterstützen.
Woran richtet sich die Neuausrichtung der nachhaltigkeitswissenschaftlichen Masterstudiengänge aus?
Wir haben ein Masterstudiengangkonzept entwickelt, das sich aus dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung sachlogisch ableitet. Es geht darum, dass wir uns innerhalb der planetaren ökologischen Grenzen bewegen sowie das soziale Fundament der Gesellschaft stärken, und um dies zu erreichen, Nachhaltigkeitstransformationen im Großen und Kleinen realisieren. Die Leuphana hat als einzige Universität in Europa eine Fakultät Nachhaltigkeit und verfügt sowohl über naturwissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Expertise zu Nachhaltigkeit. Deshalb können wir nun ein Studienkonzept anbieten, das natur- und sozialwissenschaftliche Zugänge innovativ und logisch miteinander verbindet und sich konsequent aus den Erfordernissen einer nachhaltigen Entwicklung ableitet. Student*innen bauen inter- und transdisziplinäres Know-how zu nachhaltiger Entwicklung auf, um es später entweder in der beruflichen Praxis oder einer anschließenden Promotion zu nutzen.
Welche Inhalte werden dazu in den Programmen adressiert?
Die Naturwissenschaften sind sich einig, dass es planetare Grenzen gibt. Schon in den 1970er Jahren sprach der Club of Rome von „Limits of Growth“. Das Buch „Silent Spring“ von Rachel Carson erschien sogar bereits 1962. Die planetaren Grenzen sind inzwischen vom Stockholm Resilience Institute recht konkret beschrieben und teilweise quantifiziert worden. Aber weshalb überschreiten wir die Grenzen? Die zentralen Gründe liegen in den Materialflüssen und den Ökosystem-Eingriffen. Wir verbrauchen zu viele Ressourcen, zu viel Material, zu viel Energie. Aber nicht nur die schiere Menge bereitet gigantische Probleme, es ist auch die Art der Stoffe. Wir müssen dematerialisieren und die Stoffströme müssen ungiftiger werden.
Daneben greifen wir in die belebte Natur ein: Wir zerstören Ökosysteme, rotten Arten aus und reduzieren die genetische Vielfalt, in dem wir Populationen trennen. Wir müssen Stoff- und Energieflüsse in den Griff bekommen und einen anderen Umgang mit Ökosystemen finden. Aus diesen beiden grundlegenden naturwissenschaftlichen Anforderungen für eine nachhaltige Entwicklung sind die beiden Studiengänge: Sustainability Science: Ecosystems, Biodiversity and Society (M. Sc.) und Sustainability Science: Resources, Materials and Chemistry (M. Sc.) entstanden.
Wie sah die inhaltliche Entwicklung der beiden sozialwissenschaftlichen Programme aus?
Die Sozialwissenschaften, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, sind sich einig, dass wir eine Nachhaltigkeitstransformation auf allen Ebenen der Gesellschaft brauchen, also einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel. Mit den Master-Programmen adressieren wir zwei Ebenen: Mit dem Makro-Level von Nationen, Regionen und Institutionen befasst sich der Master „Sustainability Science: Governance and Law“. Wir brauchen die Transformation von Staaten und Institutionen, wie der EU oder WTO, aber auch von regionalen Verwaltungsstrukturen und -prozessen. Auf der Mikro- und Meso-Ebene geht es um die Nachhaltigkeit von unternehmerischem und individuellen Verhalten. Es gibt keine nachhaltige Entwicklung, ohne nachhaltige Produktion und nachhaltigem Konsum. In dem Programm „Sustainability Science: Entrepreneurship, Agency and Leadership“ gehen Studierende Fragen nach, wie: Was hindert Unternehmen nachhaltigere Produkte und Dienstleistungen anzubieten? Weshalb konsumieren Individuen nicht nachhaltiger? Oder: Was motiviert Menschen etwa eine Umweltbewegung oder ein nachhaltiges Pionierunternehmen zu gründen?
Alle vier Studienprogramme sind interdisziplinär und transdisziplinär ausgerichtet und miteinander verflochten. Wie wird das im Studium umgesetzt?
Es gibt grundlegende, einführende Module für alle vier Studiengänge wie Sustainability Science zu Grundlagen der Nachhaltigkeit. In der Vorlesung werden Fragen adressiert wie: Was versteht man unter planetaren Grenzen? Was unter Nachhaltigkeitstransformation? Die Studierenden lernen zudem grundlegende inter- und transdisziplinäre Methoden der Transformationsforschung kennen. Am Ende des Studiums steht ein transdisziplinäres Projekt und eine Masterarbeit. Dabei werden Menschen aus der Praxis involviert. Wir gehen davon aus, dass man Probleme der lebensweltlichen Nachhaltigkeit nur wirksam lösen kann, wenn das Expertenwissen aus der Praxis eingebunden wird. Jeweils zwei Studiengänge – einer naturwissenschaftlich, einer sozialwissenschaftlich – gehen gemeinsam in die Praxis. Wie kann beispielsweise eine Großstadt den Wasser- und Abwasserhaushalt nachhaltig gestalten? Wie und wo können die Politik, Bewohner*innen und Verwaltung handeln und unterstützt werden, um Trocken- und Flutzeiten besser zu bewältigen, Grauwasser von Dächern einzusetzen, das Stadtklima lebenswert zu gestalten, usw.? Studierende aus den Programmen „Governance & Law“ und „Resources, Materials & Chemistry“ können gemeinsam mit der Politik, kommunalen Akteuren*innen und der Wasserwirtschaft gesetzliche Rahmenbedingungen und kommunale Entwicklungskonzepte ausgestalten.
Vielen Dank für das Gespräch!

Die neuen Sustainability-Master

Die Idee des Studiengangs Sustainability Science: Entrepreneurship, Agency and Leadership (M.A.)ist einerseits zu analysieren und zu verstehen, weshalb Individuen und Organisationen nicht nachhaltiger agieren. Andererseits geht es um die Entwicklung von Lösungsansätzen für eine nachhaltigere Wirtschaft und nachhaltigeren Konsum. Was sind die Hindernisse und Hemmnisse, was kann getan werden, damit individuelles und organisationales Verhalten nachhaltiger wird? „Ein wesentlicher Grundgedanke ist der, der so genannten kreativen Zerstörung. Nachhaltiges Unternehmertum bezweckt nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu überzeugend anzubieten, dass das Unnachhaltige obsolet wird und damit kreativ zerstört wird. Der Computer etwa löste die Schreibmaschine ab, ohne, dass diese verboten werden musste. In dem Studiengang wird diese Idee auf die Nachhaltigkeit übertragen, so wie Netflix Videokassetten und Videotheken überflüssig machte. Wir befassen und damit, wie nachhaltige Unternehmen so überzeugen können, dass unnachhaltige Unternehmen und Produkte nicht mehr attraktiv sind“, erklärt Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement.

„Der Master Sustainability Science: Resources, Materials and Chemistry (M.Sc.)ist im Vergleich zu bestehenden Studiengängen in Deutschland und der Welt in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Wir arbeiten mit Systemdenken als methodischem Ansatz, denn Chemie muss nachhaltig sein und im Kontext stehen. Die Beziehungen zwischen den behandelten Konzepten in Bezug auf Materialien, wie erneuerbare und nicht-erneuerbare (endliche) Ressourcen, sowie deren Lebenszyklen und Flüsse, werden kritisch diskutiert, mit Beispielen aus realen Fallstudien. Eine weitere Besonderheit des Kurses besteht darin, die Studierenden in die Lage zu versetzen, eine nachhaltigere und gesündere Zukunft zu projizieren, indem sie Moleküle, Materialien und Produkte, einschließlich Energie, konzipieren, anwenden und zirkulär nutzen“, erklärt Prof. Dr. Dr. Vânia Zuin Zeidler, Professorin für Nachhaltige Chemie und erneuerbare organische Ressourcen.

„Das Programm Sustainability Science: Governance and Law (M.A.) beschäftigt sich mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen: Was sind gute und legitime Entscheidungsprozesse? Welche Rolle spielt Demokratie - gerade auch global gesehen? Welche Formen der Partizipation gibt es? Wer muss was auf welcher Ebene bestimmen? Gewisse Entscheidungen müssen auf nationaler oder sogar internationaler Ebene getroffen werden, wie das Pariser Klimaabkommen, das den ganzen Erdball betrifft. Welche Akteure müssen dabei sein? Was sind wirksame Politikinstrumente? Unsere Absolvent*innen können später in die öffentliche Verwaltung gehen von Kommunen bis zu internationalen Organisationen. Infrage kommen aber auch etwa NGOs oder Beiräte. Wir haben einen wissenschaftlichen Studiengang, der auf die Praxis abzielt. So sollen unsere Absolvent*innen Botschafter*innen wissenschaftlichen Denkens sein“, erklärt Prof. Dr. Jens Newig, Professor für Governance und Nachhaltigkeit.

Das Programm Sustainability Science: Ecosystems, Biodiversity and Society (M.Sc.) verfolgt einen interdisziplinären Ansatz, der Konzepte der grundlegenden und angewandten Ökologie ebenso abdeckt wie Konzepte aus den Humanwissenschaften (z. B. Governance oder Partizipation). Studierende in diesem Master werden in die Lage versetzt, sozial-ökologische Interaktionen zu verstehen, sich innerhalb dieser zurechtzufinden und sie konstruktiv zu beeinflussen. Der Schwerpunkt liegt sowohl auf grundlegendem ökologischen Wissen als auch auf positiven sozial-ökologischen Interaktionen wie dem Aufbau von Resilienz und dem Wiederherstellen von Ökosystemen.

Kontakt - Studiendekan

  • Prof. Dr. Roman Trötschel